Jüdinnen und Juden
Adelheid Krebs, genannt Adele, wird am 15.03.1895 als zweites von sechs Kindern des Ehepaares Levi und Johanna Krebs (geb. Neuhaus) in Berleburg geboren. Ihr Vater betreibt einen gut laufenden Viehhandel, der der Familie einen bürgerlichen Wohlstand ermöglicht. Die Familie wohnt in der Marburger Straße 15, der heutigen Emil-Wolff-Straße. Vater Levi Krebs vermittelt seinen Kindern einen traditionellen jüdischen Glauben, dessen Bestandteil regelmäßige Besuche der Synagoge sind. Er selbst gehört über längere Zeit dem Synagogenvorstand an. Während Adeles Brüder Julius, Adolf und Fritz den Beruf des Viehhändlers ausüben, besucht Adele zunächst die Volksschule in Berleburg und danach die Handelsschule. In den 1920er Jahren ist Adele bei der EDEKA-Genossenschaft in Berleburg zunächst als Buchhalterin und später als Geschäftsführerin beschäftigt. Adele wird als selbstbewusster und lebensfroher Mensch beschrieben. Sie unterhält enge Freundschaften mit jüdischen und nichtjüdischen Menschen in Bad Berleburg, verfügt über einen großen Freundeskreis und nimmt regen Anteil am Familienleben. Sie selbst bleibt jedoch unverheiratet und kinderlos. Eine schwere Erkrankung verändert Adeles Leben Anfang 1933 grundlegend: Wegen des Verdachts auf einen Hirntumor wird Adele in Marburg am Kopf operiert. Leider wird sie sich von diesem Eingriff nie wieder vollständig erholen und ist fortan als annähernd Querschnittsgelähmte dauerhaft auf Hilfe und einen Rollstuhl angewiesen. Ihre Stellung als Geschäftsführerin kann sie nicht mehr ausüben. Ihr Vater Levi Krebs bittet die schon seit 1929 für Adeles Familie tätige Elisabeth Bald, seine kranke Tochter vorübergehend zu pflegen. Trotz des Altersunterschieds von 14 Jahren freunden sich die beiden Frauen an.
Grausamkeiten und Repressalien durch das NS-Regime
Zeitgleich zu Adeles Krankheit verändert die Machtergreifung der Nationalsozialisten das Leben der gesamten Familie Krebs. Der einst florierende Viehhandel von Levi Krebs und seinen Söhnen Julius und Adolf wird von den Nationalsozialisten erst bekämpft und schließlich zunichtegemacht. An der Pflege der kranken Adele wirken eigens zu diesem Zweck eingestellte jüdische Dienstmädchen mit. Diese Unterstützung wird jedoch von den städtischen und Partei-Dienststellen behindert. Im Jahr 1937 steht Adele ohne Pflegerin da. Gegen alle Widerstände nimmt Elisabeth Bald die kranke Frau in das Haus ihrer Familie in der Marburger Straße 7 auf, wo sie für die Dauer von zwei Jahren wohnt. So geschützt erlebt Adele dort im November 1938 die Pogromnacht, in der das Innere der Synagoge verwüstet, ihr Elternhaus durchsucht und die männlichen Angehörigen ihrer Familie – mit Ausnahme ihres Bruders Julius – in „Schutzhaft“ genommen werden. Adolf Krebs wird in das Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt, Adeles Nichten und Neffen werden noch im November 1938 vom Schulbesuch ausgeschlossen. Unter dem Eindruck dieser Ereignisse fasst die Familie den Entschluss, auszuwandern. Dass Adele bei ihrer Freundin lebt, bleibt den in Berleburg politisch Verantwortlichen nicht verborgen, sondern ist sogar bei der NS-Gauleitung in Bochum bekannt. Nach erheblichen Repressalien gegenüber der Familie Bald zieht Adele im Sommer 1939 in ihr Elternhaus zurück, wo sie von Elisabeth Bald – soweit überhaupt noch möglich – weiter unterstützt wird. Unter Schmerzen muss Adele mitansehen, wie ihre Familie beginnt, die angestammte Heimat zu verlassen. Wegen ihrer Behinderung bleibt ihr selbst die Auswanderung versagt. Sie erhält kein Visum. Adeles Bruder Adolf macht 1939 nach seiner Haftentlassung den Anfang und geht nach England, wohin ihm seine Frau und Tochter nachfolgen sollen. Die Ausreise seiner Familie wird jedoch aufgrund von nicht erteilten Visa und fehlenden Schiffspassagen leider nicht mehr gelingen. Ihre anderen Geschwister und ihr Vater Levi wandern alle zwischen 1939 und 1941, teils unter abenteuerlichen Umständen, mit ihren Kindern in die USA aus. Adele bleibt in Berleburg zurück und wohnt zusammen mit anderen jüdischen Berleburgerinnen und Berleburgern in ihrem inzwischen von den Behörden als „Judenhaus“ umfunktionierten Elternhaus. Ihr stehen lediglich zwei Zimmer im Obergeschoss zur Verfügung. Adolfs Frau Betty und ihre gemeinsame Tochter Ruth siedeln nach Frankfurt am Main über, von wo aus sie in ein Vernichtungslager deportiert und ermordet werden.
Code für Briefpost vereinbart
Nachdem Adeles enge Freunde schon bald nach der Machtergreifung keinen Kontakt mehr zu ihr pflegten, brechen auch alle anderen gesellschaftlichen Verbindungen zu nichtjüdischen Berleburgerinnen und Berleburgern ab. Nur Elisabeth Bald bleibt an ihrer Seite. Um der Denunziation durch Nachbarn und NS-Dienststellen zu entgehen, schleicht Elisabeth nachts durch die Hintertür zu der kranken Adele und versorgt sie. Offene Drohungen und Repressionen der Nationalsozialisten sind die Folge. Mitte Juli 1942 erhält Adele den Deportationsbefehl. Elisabeth näht ihr einen Rucksack, der das wenige zulässige Gepäck aufnehmen soll. In der Hoffnung, dass es noch möglich sein könnte, postalisch in Kontakt zu bleiben, vereinbaren die Frauen eine Art Code für Briefe und verabschieden sich. Am 27.07.1942 wird Adele Krebs in ihrem Rollstuhl zusammen mit weiteren jüdischen Bürgerinnen und Bürgern aus Berleburg und Laasphe zunächst nach Dortmund gebracht, von wo aus ein Transport in das Konzentrationslager Theresienstadt zusammengestellt wird. Tatsächlich sendet sie aus dem Viehhof neben der Dortmunder Steinwache noch eine verschlüsselte Postkarte an Elisabeth Bald. Es ist das letzte Lebenszeichen. Der Transport X/1 nach Theresienstadt verlässt Dortmund am 29.07.1942 und erreicht am Folgetag sein Ziel. In der als Festung errichteten Stadt, deren Wohnraum für nur wenige Tausend Einwohner ausgelegt ist, pferchen die Nationalsozialisten 1942 mehr als 60.000 Menschen zusammen. Die hygienischen Zustände sind katastrophal, Seuchen grassieren. Den nahenden Tod vor Augen, verfasst die leidende Frau das Gedicht „Todesahnen“, in dem sie sich auf ihren jüdischen Glauben besinnt und den Verlust ihrer Heimat beklagt. Adele Krebs stirbt am 25.04.1943 im Alter von 48 Jahren in Theresienstadt. Ihr Körper wird im dortigen Krematorium eingeäschert. Im Sommer 1945 kehrt Julius Goldschmidt als jüdischer Überlebender des Ghettos Theresienstadt nach Berleburg zurück und überbringt Elisabeth Bald Adeles Gedicht.