"Menschen wie wir": Jeder Name ein Appell gegen das Vergessen
Direkt vor dem Gedenkstein im Rathausgarten in Bad Berleburg war eine lange Schnur gespannt. Von Minute zu Minute war diese Schnur weniger sichtbar geworden – dafür mehr und mehr Namen, die auf ihr standen: Gisela, Elfriede, Dieter, Rosemarie, Kurt – unzählige Namen. Die Menschen dahinter: nicht älter als 14 Jahre, manche nur ein paar Monate. „Menschen wie wir“ stand daneben zu lesen – darüber ein Foto von Schülerinnen und Schülern der Realschule Bad Berleburg. All diese Berleburger hatten die Nationalsozialisten vor genau 80 Jahren deportiert – die allermeisten von ihnen in einen grausamen Tod im KZ Auschwitz. Daneben unzählige Erwachsene – unschuldige Menschen, von denen nur die wenigsten zurückkehrten.
"Nie wieder dürfen wir vergessen"
„Nie wieder darf geschehen, was heute vor 80 Jahren geschehen ist. Nie wieder dürfen Hass, Ausgrenzung, Gewalt oder Rassenideologie einen Platz in unserer Gesellschaft finden. Nie wieder dürfen wir vergessen“, forderte Bernd Fuhrmann. Gemeinsam mit zahlreichen Besucherinnen und Besuchern, mit Pfarrerin Christine Liedtke und Pfarrer Stephan Berkenkopf – sie sprachen ein ökumenisches Gebet – und vor allem mit einem Dutzend Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 9 der Realschule Bad Berleburg erinnerte der Bürgermeister der Stadt Bad Berleburg an die Schicksale dieser Menschen. Mindestens 140 Berleburgerinnen und Berleburger waren es, die am 09.03.1943 von Berleburg aus nach Auschwitz deportiert wurden. Von ihnen jedenfalls weiß die Wissenschaft bis dato. Nur zwölf davon kehrten zurück – traumatisiert von unfassbaren Leiden. „Jeder Mensch in Berleburg, der es damals sehen wollte, konnte es sehen, wie ein Aufgebot von Polizei, SA, Feuerwehr und Berleburger Verwaltungsbeamten all diese Menschen auf einem Fabrikhof zusammentrieben. Von dort aus ging es für die meisten Deportationsopfer in den ebenso sicheren wie grausamen Tod“, wusste Bernd Fuhrmann, der gemeinsam mit allen Akteuren ein deutliches Zeichen der Gemeinschaft und des Zusammenhalts setzte.
Schülerinnen und Schüler setzen sich intensiv mit Schicksalen auseinander
Es war die Erinnerung, um die es an diesem Tag ging – die Erinnerung wachzuhalten und weiterzugeben. Gerade deshalb dankte Bernd Fuhrmann den Schülerinnen und Schülern, die sich mit der Thematik intensiv auseinandergesetzt hatten, die die Gedenkveranstaltung maßgeblich mit vorbereitet hatten – und die Erinnerung nun in der Gegenwart greifbar machten. Indem sie jeden einzelnen Namen der deportierten Kinder und ihr Alter gut hörbar für alle aufriefen, setzten sie ein Zeichen für jede und jeden einzelnen. „Mit eurem Engagement macht ihr die sehr guten wissenschaftlichen Aufsätze zu diesen Themen lebendig – hinter den Zahlen werden so die Menschen wieder sichtbar. In dieser Kombination geben wir den Deportationsopfern gemeinsam zumindest einen Teil ihrer Persönlichkeit wieder, die die Nationalsozialisten vernichten wollten. Das unglaubliche Leid, die unglaubliche Entrechtung und Entmenschlichung rückgängig machen können wir aber nicht, kann all das nicht. Aber: Ihr habt euch der schweren und belastenden Aufarbeitung gestellt und eure Erlebnisse und Wahrnehmungen der geschichtlichen Tatsachen eingebracht. Das ist es, was mich und uns hoffnungsvoll stimmen darf“, betonte Bernd Fuhrmann.
Appell für Menschlichkeit, Gemeinschaft und Frieden
Denn es waren „Menschen wie wir“ – so hatten die Schülerinnen und Schüler die Gedenkfeier überschrieben – denen dieses immer noch unfassbare Unrecht widerfahren war. Und die mit ihrem Engagement die Basis für die Erinnerungskultur der Zukunft legten. „Denn das, was heute vor 80 Jahren hier bei uns geschehen ist, darf sich nicht wiederholen. Das was von 1933 bis 1945 geschehen hier bei uns geschehen ist, darf sich nicht wiederholen. Nie wieder“, konstatierte der Bürgermeister. Dann war es still – diese Stille durchbrachen jene Namen, aufgerufen von den Schülerinnen und Schülern der Realschule Bad Berleburg. Jeder einzelne Name wie ein Appell für Menschlichkeit, Gemeinschaft und Frieden: Friedrich Anton, Martha, Alexander, Sieglinde – wenige von unzähligen Namen. Namen von Kindern, die an genau jener Stelle zu lesen waren, von der aus exakt 80 Jahre zuvor ihre Deportation in den Tod startete.